Insolvenzrecht reloaded: Welche Punkte Geschäftsleiter ab dem 1. Januar 2024 bei der Insolvenzantragspflicht im Blick haben und beachten müssen

27. Dezember 2023 Blog Insolvenzrecht Restrukturierung und Sanierung Wirtschaftsrecht

Die gesetzlichen Lockerungen beim Insolvenzgrund der Überschuldung laufen zum Jahresende 2023 ersatzlos aus. Was das für Geschäftsleiter von Unternehmen mit dem Blick auf die Insolvenzantragspflicht bedeutet und warum sie auch die Zahlungsunfähigkeit im Blick haben sollten, erläutert Dr. Jürgen Erbe von Schultze & Braun.

 

Herr Dr. Erbe, die gesetzlichen Lockerungen beim Insolvenzgrund der Überschuldung laufen zum Jahresende 2023 ersatzlos aus. Was bedeutet das für Geschäftsleiter von Unternehmen?

Erbe: Die Insolvenzantragspflicht greift ab dem 1. Januar 2024 wieder in vollem Umfang. Das heißt, dass ein Geschäftsleiter dann wieder nachweisen muss, dass sein Unternehmen die nächsten zwölf Monate durchfinanziert ist. Wenn klar ist, dass das nicht der Fall ist, müssen Geschäftsleiter innerhalb der gesetzlichen Frist einen Insolvenzantrag stellen – gerade auch, um sich vor einer möglichen persönlichen Haftung zu schützen. Aber auch Rechtsanwälte und Steuerberater, die Unternehmen beraten, sowie Aufsichtsräte sollten das Risiko einer persönlichen Haftung nicht unterschätzen.“

 

Sie sprechen die gesetzliche Frist an. Wie lang ist diese nach dem Auslaufen der gesetzlichen Lockerungen?

Erbe: Die Höchstfrist für einen Insolvenzantrag wegen Überschuldung umfasst ab dem 1. Januar 2024 wieder sechs Wochen. Unternehmen können während dieser Zeit eine außerinsolvenzliche Sanierung – zum Beispiel auf Basis eines nachvollziehbaren und belastbaren Restrukturierungsplans – angehen, auch wenn sie für die kommenden zwölf Monate nicht durchfinanziert sind. Für Geschäftsleiter ist aber wichtig, dass sie die Frist nicht ausschöpfen, wenn bereits während der sechs Wochen-Frist feststeht, dass die Überschuldung mit der außerinsolvenzlichen Sanierung aller Voraussicht nach nicht beseitigt werden kann.

 

Wird es aus Ihrer Sicht nun mehr Insolvenzanträge wegen Überschuldung geben?

Erbe: Dass der Zeitraum für die Durchfinanzierung eines Unternehmens ab dem 1. Januar 2024 wieder zwölf Monate beträgt, führt dazu, dass die Überschuldung als Insolvenzgrund wieder an Bedeutung gewinnt. Die Zahlungsunfähigkeit wird aber auch weiterhin der mit Abstand häufigste Grund für Unternehmensinsolvenzen bleiben.

 

Welche Regelungen gelten bei der Zahlungsunfähigkeit?

Erbe: Grundsätzlich gilt: Kann ein Unternehmen seine fälligen Verbindlichkeiten nicht mehr begleichen, ist es zahlungsunfähig. In einem solchen Fall ist ein Geschäftsleiter dazu verpflichtet, innerhalb der gesetzlichen Frist – in der Regel drei Wochen – einen Insolvenzantrag zu stellen. Da die wirtschaftliche Erholung weiterhin auf sich warten lässt, sollten sich Geschäftsleiter daher – so hart das zunächst klingen mag – regelmäßig auch mit der Frage „Ist mein Unternehmen noch zahlungsfähig?“ befassen. Denn die Antwort auf diese Frage hat nicht nur für das Unternehmen, sondern gerade auch für Geschäftsleiter in Bezug auf ihre persönliche finanzielle Haftung eine große Bedeutung – Stichwort Insolvenzverschleppung.

 

Was raten Sie Geschäftsleitern, deren Unternehmen sich in einer Krise befindet oder absehbar darauf zusteuert?

Erbe: Geschäftsleiter sollten eine notwendige Restrukturierung oder Sanierung rechtzeitig angehen, wenn ihr Unternehmen noch Reserven hat. Wenn Gegenmaßnahmen frühzeitig eingeleitet werden, bestehen bessere Chancen auf einen erfolgreichen und nachhaltigen Ausgang. Einfach abzuwarten und auf eine baldige Besserung der Konjunktur und der wirtschaftlichen Gesamtlage zu setzen, ist keine sinnvolle Strategie. Zudem sollten sie auch eine Neuaufstellung mit Hilfe des Sanierungsrechts zumindest als Option ansehen. Denn ein Insolvenzantrag bedeutet nicht automatisch das Ende eines Unternehmens, sondern sowohl Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren als auch ein Regelinsolvenzverfahren bieten die Chance auf einen nachhaltigen Neuanfang.

 

Der Interviewpartner

Dr. Jürgen Erbe, MBA

ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht bei Schultze & Braun. Er wird im Raum Mannheim und Frankfurt an verschiedenen Gerichten bestellt und hat bereits zahlreiche Unternehmen in ihren Insolvenz-, Eigenverwaltungs- oder Schutzschirmverfahren begleitet – als Insolvenzverwalter, Sachwalter und als CRO.