Kreditrisiken frühzeitig und proaktiv begegnen

18. März 2024 Blog Insolvenzrecht Restrukturierung und Sanierung Wirtschaftsrecht

Der Verkauf von Kreditportfolios kann eine Lösung für Non-Performing Loans (NPL) sein. Dr. Ludwig J. Weber und Jürgen Sonder erläutern, wie Finanzierer und Investoren von solchen Transaktionen profitieren und worauf sie dabei achten sollten – auch angesichts der steigenden Insolvenzzahlen.

Auch wenn die Zahl der Insolvenzen das Vor-Corona-Niveau noch nicht erreicht hat, ist der Trend 2023 zu 2022 mit einer über 20-prozentigen Steigerung bei den Unternehmensinsolvenzen ein deutliches Zeichen für die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage. Gravierender ist jedoch zu beobachten, dass sich auch die Qualität der Insolvenzen verändert hat. So hat sich das vom Statistischen Bundesamt prognostizierte Forderungsvolumen fast verdoppelt und die Zahl der betroffenen Arbeitnehmer ist sogar um mehr als das doppelte gestiegen. Diese Tendenz eines generellen Anstiegs wird sich mit dem Blick auf das Gesamtjahr 2024 aller Voraussicht nach weiter fortsetzen.

Mehr Insolvenzen und mehr Kreditausfälle

Auch die Ergebnisse der Herbst-Ausgabe 2023 des regelmäßigen NPL-Barometers der Bundesvereinigung Kreditankauf und Servicing (BKS) und der Frankfurt School of Finance & Management sprechen eine eindeutige Sprache: Wie auch bei den Insolvenzen dürfte es bei den notleidenden Kredite in den kommenden zwölf Monaten einen weiteren Anstieg geben – und das bei den NPL in allen Assetklassen, insbesondere aber in den Bereichen Konsumentenkredite, Corporate Real Estate sowie kleine und mittlere Unternehmen (KMU).

Auch wenn die Schätzungen für die NPL-Volumina in den deutschen Banken nach wie vor konservativ ausfallen – bis Ende 2024 wird ein Anstieg um rund fünf Milliarden Euro auf knapp 41,5 Milliarden Euro erwartet – gewinnen Kreditrisiken für Banken (weiter) an Bedeutung.

Lösungen für NPL finden

Angesichts dieser Entwicklung wächst für Banken das Risiko von Kreditausfällen und die Bedeutung, Lösungen für NPL zu finden. Dabei ist Vorsorge das A und O, um möglichen Kreditrisiken frühzeitig und proaktiv begegnen zu können. Eine solche Vorsorge kann der Verkauf von Kreditportfolios an Investoren sein – Transaktionen, die sowohl den Verkäufern als auch den Käufern Vorteile bringen.

  • Den Unternehmensfinanzierern und besonders Banken hilft der Verkauf von NPL-Portfolios, ihre Bilanzen zu bereinigen. Zudem entlasten sie ihre Abrechnungs- und Marktfolgeabteilungen, optimieren ihre Prozesse, sparen Rechtsverfolgungskosten ein und generieren Liquidität, da sie (zumindest) einen Teil der notleidenden Forderungen aus den NPL realisieren.
  • Die Käufer von NPL-Portfolios im Corporate-Bereich wiederum können – da sie durch den Erwerb in die Position eines Gläubigers treten – sich aus der Realisierung ihrer Forderungen befriedigen oder sich zum Beispiel über einen Debt-Equity-Swap und/oder einen Insolvenzplan am schuldnerischen Unternehmen beteiligen.

Zudem haben sowohl Unternehmensfinanzierer und Banken als auch die Käufer von NPL-Portfolios die Möglichkeit, auf Sicherheiten zuzugreifen – beispielsweise den erleichterten Erwerb von Grundstücken, an denen Grundpfandrechte zur Besicherung der notleidenden Forderungen bestehen.

Ein Anreiz für den Käufer von NPL-Portfolios ist der mögliche Discount auf die notleidenden Forderungen. Letztlich geht es für die Erwerber von NPLs um eine risikoadäquate Rendite für ihre Investoren. Wesentliche Erfolgsfaktoren dabei sind schlankere Organisationsstrukturen und ein hoher Spezialisierungsgrad sowie eine höhere Flexibilität in der Findung tragfähiger Lösungen für Schuldner und Erwerber.

Ertragschancen als ausschlaggebender Erfolgsfaktor

Der ausschlaggebende Erfolgsfaktor bei solchen Transaktionen für Verkäufer und Käufer sind die Ertragschancen für die entsprechenden Portfolios. Um die Ertragschancen und darauf basierend den Preis für die NPL-Portfolios zu ermitteln, ist eine umfassende Due-Diligence-Prüfung erforderlich. So können die Forderungen an sich und die aus ihnen resultierenden tatsächlichen und rechtlichen Chancen und Risiken bewertet werden. Dabei spielt auch der Faktor Zeit eine nicht unerhebliche Rolle. Die entscheidenden Fragen sind:

  • In welchem Zeitraum muss die Transaktion für den Verkäufer über die Bühne gehen?
  • Wie schnell will oder muss der Investor seine erworbenen Forderungen unter dem Gesichtspunkt der Refinanzierung realisieren?

Wichtig ist, dass Verkäufer und Käufer im Zuge der Transaktion eine praxisnahe Regelung für die gegenseitigen Kooperations- und Informationspflichten finden. Zudem ist es für beide Seiten maßgeblich, dass die Transaktionen abgesichert sind und dahingehend dokumentiert werden, dass der Übergang der Forderungen beziehungsweise die Inhaberschaft des neuen Eigentümers eindeutig nachgewiesen werden kann.

Während des gesamten Prozesses müssen darüber hinaus alle formellen Anforderungen beachtet werden – etwa bei der Abtretung von bereits zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderungen, von sonstigen Vollstreckungstiteln, von sicherungsübereigneten GmbH-Geschäftsanteilen oder von Grundschulden. Bei NPL-Transaktionen sind aber auch steuerliche Aspekte von großer Bedeutung – gerade für den Investor. So stellt sich beim Erwerb von notleidenden Krediten von Gesellschaften im Ausland unter anderem die Frage, ob mit dem Staat, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat, ein Doppelbesteuerungsabkommen existiert und welche Auswirkungen dies auf die beabsichtigte Transaktion hat. Von der Antwort hängt unter anderem ab, wo der Sitz der übernehmenden Gesellschaft des Investors aus steuerlicher Sicht angesiedelt sein sollte.

Wichtiger Beitrag zur Finanzmarktstabilität

Es zeigt sich: Kreditkäufer, Servicing-Unternehmen, Banken und viele weitere Experten arbeiten bei der Bearbeitung von NPL also Hand in Hand – und das sehr erfolgreich. In den letzten Jahren, selbst während der Corona-Pandemie, konnten die NPL-Bestände deutscher Kreditinstitute Schritt für Schritt abgebaut werden. Es hat sich gezeigt, dass ein funktionierender Transaktionsmarkt mit notleidenden Krediten die Finanzindustrie gerade in Krisenzeiten signifikant unterstützen und selbstverstärkende Abwärtsspiralen verhindern kann – ein wichtiger Beitrag zur Finanzmarktstabilität.


Die Autoren

Dr. Ludwig J. Weber

ist Experte für Unternehmensfinanzierung und -sanierungen bei der Kanzlei Schultze & Braun. Er berät unter anderem Finanzierer und Investoren bei der Bewertung von Kreditportfolios und bei NPL-Transaktionen.

Jürgen Sonder

ist Präsident der Bundesvereinigung Kreditankauf und Servicing, Vorsitzender des Senior Advisory Board der Intrum Gruppe in Deutschland und Mitglied des Beirats des Frankfurter Instituts für Risikomanagement und Regulierung (FIRM). Er ist seit über 35 Jahren in der Finanzdienstleistungsbranche tätig und initiierte und verantwortete Transaktionen über mehrere Milliarden Euro.